Draußen ist nicht aufwendig

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Wenn ich vorschlage einen Workshop oder ein Meeting ins Freie zu verlegen bekomme ich oft zu hören: “Das ist doch mega aufwendig!”, “Da braucht man doch so viel Ausrüstung!”, “Dafür haben wir doch gar keine Zeit!”. Diese Einwände höre ich am häufigsten. Und jedes Mal merke ich: Das Problem ist nicht die Natur, es ist nicht der Aufwand und auch nicht die Zeit. Das Problem ist die mangelnde Routine.

Deshalb möchte ich dir zeigen wie Aufwand rasant sinkt, sobald wir regelmäßig draußen arbeiten. Was sich in der Vorbereitung wirklich lohnt, wo du Material sparen kannst, und weshalb hybride Formate oft die besten Ergebnisse liefern. Vor allem aber: wie sich Ideen in der Natur anders, körperlicher, klarer, verbindlicher entwickeln und deshalb schneller in die Umsetzung kommen.

Der Aufwands-Mythos: Die Seltenheit macht’s schwer

Stell dir vor, du gehst genau einmal im Jahr mit deiner Klasse, deinem Team oder deinem Projekt in die Natur. Du suchst aufwendig einen Ort, checkst Wetter und Anfahrt, fragst Kolleg:innen, ob jemand Erfahrung hat, packst sicherheitshalber den halben Moderationsschrank ein und planst minutiös. Am Tag X bist du halbe:r Logistiker:in, halbe:r Moderator:in. Klar fühlt sich das groß an.

Die gleiche Logik gilt überall: Dinge, die wir kaum tun, wirken überproportional anstrengend. Der erste Tag im neuen Job. Der erste Einsatz einer neuen Software. Die erste Unterrichtsstunde mit einer neuen Methode. Die erste Moderation mit unbekannter Gruppe. Erst mit Wiederholung entsteht Routine – und Routine frisst Aufwand.

Die gute Nachricht: Draußen ist extrem routinefreundlich. Nach zwei, drei Durchläufen kennst du deine Orte, weißt, welche Wege sich eignen, wie du Gruppen setzt, welche Alternativen es bei Regen gibt und ganz wichtig: Wie wenig Material du eigentlich brauchst.

Regelmäßigkeit senkt Aufwand und Kosten

Wer regelmäßig draußen arbeitet egal ob wöchentlich, zweiwöchentlich, monatlich erlebt fast immer dieselbe Kurve:

  1. Orientierung: Ein, zwei Termine sind explorativ. Du probierst Orte aus, beobachtest Geräuschkulisse, Schatten, Sitzmöglichkeiten.
  2. Verschlankung: Der Materialberg schrumpft. Statt Flipchart und Metaplan lernst du Natur als Ressource zu nutzen – Stämme als Sitzkreis, Stöcke als Markierungen, Steine als Ankerpunkte.
  3. Automatisierung: Packliste im Kopf, Rollen im Team („Wetter-Scout“, „Ort-Host“, „Material-Lead“), zwei bis drei Standardrouten. Der Vorbereitungsoverhead durch das Setting reduziert sich auf Minuten.
  4. Selbstwirksamkeit: Externe Hilfe wird selten nötig. Du weißt, wann du gehst, wie du beginnst, wie du steuerst – und wo du aufhörst.

Die Nebeneffekte sind handfest: weniger Kosten (keine externen Locations, kaum Material), weniger Koordination (weil klar ist, wohin), weniger Ausfall (weil du einen Regenplan hast statt „bei unsicherem Wetter entfällt“).

Material-Mythos: Draußen braucht keinen Moderationszirkus

Einer der hartnäckigsten Glaubenssätze lautet: „Wenn wir draußen arbeiten, brauchen wir alles, was drinnen hilft plus Outdoor-Extras.“, das führt schnell zu absurden Szenen: Flipcharts im Park, Metaplanwände im Wald, laminiertes Zubehör das im Rucksack knittert und Menschen in Outdoor Klamotten die fliegende Post-Its verfolgen.

Die Praxis zeigt das Gegenteil. Draußen wirken Reize, Räume und Rhythmen, die du drinnen künstlich erzeugen müsstest. Menschen kommen schneller ins Gespräch und ins Handeln. Du brauchst in der Regel:

  • Sitzunterlagen (Boden, Baumstämme, Stufen, große Steine können kalt oder feucht sein)
  • Wasserfeste Stifte und Karten
  • Klemmbretter oder Notizbücher
  • Timer (Uhr/Handy im Flugmodus reicht)
  • Ein kurzes Seil (für Kreis, Wege, Grenzen)
  • Müllbeutel (wir hinterlassen es sauberer, als wir’s vorgefunden haben)

Mehr ist fast immer weniger. Denn die Natur ist schon Bühne, Struktur und Impulsgeberin. Sie liefert dir Perspektivwechsel gratis: ein anderer Blickwinkel, ein anderer Untergrund, ein anderer Abstand. Wer sich darauf einlässt, spart Material – und gewinnt Aufmerksamkeit.

Die Offline-Phase draußen macht die besten Ideen

„Aber was, wenn uns Informationen fehlen? Ohne Internet kann ich doch nichts nachschlagen.“ Genau hier passiert die Magie. Draußen arbeiten heißt zunächst divergieren: Dinge auseinanderziehen, anreichern, sich erlauben, nicht sofort zu verifizieren. Diese kleine Informationsaskese stoppt die ständige „ich-goog­le-mal-kurz“-Schleife und schenkt Denkzeit. Ein Vorgehen das nicht nur im Design-Thinking und vielen Liberating Structures gelebte Praxis ist.

Das Gehirn reagiert dankbar. Ohne ständige digitale Mini-Unterbrechungen formst du Gedanken zu eigenständigen Ideen, statt sie sofort an bestehende Dokumente anzudocken. Körperliche Bewegung: Gehen, Stehen, Positionswechsel verstärken das: Herz-Kreislauf, Atmung, periphere Wahrnehmung. Ideen werden verkörpert. Sie hängen an einem Ort, einem Weg, einem Geruch, an Licht durch Blätter. Genau das macht sie später drinnen robuster: Sie sind nicht nur Text, sie sind Erlebnis.

Ein häufiges Muster: Draußen entstehen die großen Skizzen, drinnen werden sie kleiner – aber realistisch. Das ist kein Verlust, sondern ein Gewinn. Die Natur lädt emotional auf, der Raum setzt in Verbindlichkeit um.

Hybride Formate: Das Beste aus zwei Welten

Ein bewährtes Setting ist das 2-Tage-Hybridformat:

  • Tag 1 – draußen: Anliegen klären, Problem frisch formulieren, Hypothesen sammeln, Ideen generieren, grob priorisieren. Keine Laptops, nur Notizkarten, Stifte, Klemmbretter. Gehen statt sitzen, kurze Stopps mit Fokusfragen, Arbeit in wechselnden Kleingruppen (2–3 Personen), Abschluss im Kreis: „Was nehmen wir mit?“
  • Tag 2 – drinnen: Datencheck, Risiken und Abhängigkeiten, Machbarkeitsprüfung, Roadmap, Verantwortlichkeiten. Laptop auf, Backlogs, Policies, Budgets. Energie vom Vortag nutzen, aber in Verbindlichkeit übersetzen: Wer macht was bis wann? Woran messen wir Fortschritt?

Dieses Wechselspiel funktioniert in Unternehmen genauso wie in Schulen oder Hochschulkursen. Der Schlüssel ist die klare Funktionslogik: draußen divergieren, drinnen konvergieren.

So wird „rausgehen“ zur Routine

Es gibt ein paar einfache Stellschrauben, die aus „Ausflug“ eine Arbeitsweise machen:

  1. Rhythmus festlegen
    Zum Beispiel jeden Dienstag 90 Minuten. Regelmäßigkeit sorgt für Erwartbarkeit und senkt Koordinationsaufwand.
  2. Zwei bis drei Standardorte definieren
    Laufweite vom Büro/Schule. Ein sonniger, ein schattiger, ein windgeschützter. Kennzeichnen, wie du dort Kreise bildest oder Wege definierst.
  3. Rollen vergeben
    • Wetter-Scout: Checkt Bedingungen und bringt ggf. einen einfachen Regenplan ein (überdachter Pavillon, Arkade, Schulhof mit Vordach).
    • Ort-Host: Kommt 10 Minuten früher, markiert Treffpunkt/Kreis.
    • Material-Lead: Verantwortet die Mini-Packliste und die Rückführung.
  4. Regen ist kein Abbruch, sondern Formatwechsel
    Leichtes Wetter = kurze, dynamische Settings (Gehen, Stehen, schnelle Runden). Starkregen/Unwetter = Ausweichort oder drinnen – aber Struktur bleibt.
  5. Zeitfenster klar halten
    Draußen zerfasert weniger, wenn Anfang, Fokus und Ende feststehen. Ein Gong, ein Timer, eine klare Schlussschleife.

Mikro-Methoden, die draußen hervorragend funktionieren

  • Gehtandem (2er-Paare): 8 Minuten gehen – 4 reden, 4 spiegeln; zurück im Kreis je 30 Sekunden Essenz.
  • Stiller Start: 5 Minuten schweigend ankommen, nur wahrnehmen. Dann 1 Frage: „Was ist heute wirklich wichtig?“
  • Pfad der Optionen: Lege ein Seil, markiere drei Stopps (Option A/B/C). Gruppe geht, sammelt Pros/Cons, entscheidet am Ende im Kreis.
  • Natur-Metapher: Lass die Teilnehmenden ein Objekt finden (Ast, Stein, Blatt) und es als Metapher für das Thema nutzen. Das schafft überraschende Zugänge und erinnert später zuverlässig an den Kern.
  • Prototyping: Nutzt das was euch umgibt um kleine Prototypen zu entwerfen. Ein paar Stöcke bilden einen Rahmen, Blätter, Moos und Nadeln erschaffen ein Bild.
  • Boundary Setting: Kreide oder Seil markiert Arbeitsfläche. „Innerhalb“ ist Fokus, „außerhalb“ ist Pause. Einfach – wirkt.

All diese Mikro-Methoden brauchen kaum Material, erzeugen aber klare Dynamik. Draußen heißt nicht „alles frei flottieren“, draußen heißt gute, schlanke Struktur.

Für Schulen: Unterrichtseinheiten im Grünen

Gerade in Schulen verknüpfen viele „Natur“ mit „Ausflug“. Aber Unterricht draußen kann ganz normaler Unterricht sein in Mathe, Bio, Deutsch, Ethik. Entscheidend ist die Routine:

  • Startet mit 30 Minuten pro Woche, fester Wochentag, fester Platz auf dem Schulhof oder im nahen Park.
  • Eine Frage, ein Arbeitsauftrag, eine Rückmeldung – mehr braucht es nicht.
  • Material minimal: Klemmbrett, Stift, Karteikarte.
  • Regenplan: Unterstand oder Arkade – Fokus auf Beobachtung statt Schreiben.

Sicher passt es nicht für absolut jedes Thema aber nach drei, vier Wochen läuft es leicht. Die Klasse weiß, wie der Weg geht, was „Ankommen“ heißt, wie man draußen spricht und zuhört. Der Erwartungsrahmen nimmt dir die Organisation ab.

Für Unternehmen: Meetings und Workshops im Grünen

Einer der häufigsten Denkfehler im Unternehmen in Bezug auf die Arbeit im Grünen ist die Eventisierung. Einmal im Jahr raus, großer Tamtam, tolle Bilder. Dann wieder zwölf Monate Meetingraum. Effekt: null.

Besser ist ein Betriebsrhythmus:

  • Wöchentlich ein Steh-Meeting im nahen Grün (20–30 Minuten, klarer Fokus).
  • Monatlich ein Denkfenster von 60–90 Minuten draußen für Strategiefragen, Retrospektiven oder Konfliktklärung.
  • Quartalsweise ein hybrider Workshop (draußen divergieren, drinnen konvergieren).

Die Wiederholung senkt Aufwand, macht die Sache normal und hebt die Qualität spürbar. Viele Teams berichten nach kurzer Zeit: Die Gespräche werden ehrlicher, die Entscheidungen klarer, die Zeit disziplinierter genutzt.

Was sich verändert, wenn draußen normal wird

Nach einigen Wochen spürst du drei Änderungen:

  • Klarheit: Weniger Ablenkung, mehr Fokus. Gespräche werden direkter, Entscheidungen greifbarer.
  • Energie: Bewegung und Luft laden auf. Selbst kurze Sessions hinterlassen ein anderes Gefühl als eine Stunde Raumluft.
  • Umsetzung: Ideen sind mit Orten, Wegen, Sinneseindrücken verknüpft – das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Transfer in den Alltag schaffen.

Und ja: Drinnen ist weiter wichtig. Wir brauchen Daten, Richtlinien, Tools. Aber wir brauchen ebenso Orte, an denen Ideen entstehen dürfen, bevor wir sie in Tabellen pressen. Draußen schenkt uns genau diesen Vorlauf.

Fangt klein an – aber macht es regelmäßig

Die größte Hürde ist nicht Wetter oder Material. Es ist unsere Gewohnheit. Einmal im Monat draußen ist besser als einmal im Jahr. Einmal pro Woche 30 Minuten sind besser als ein großer Ausflug pro Halbjahr. Mit der Routine kommt die Leichtigkeit und mit der Leichtigkeit kommt die Qualität.

Es zwingt dich niemand mit den ganz großen Themen allein in einem komplett neuen Setting zu starten. Finde kleine Themen, experimentier mit Formaten, Orten und Methoden. Wenn du heute beginnst, hast du in vier Wochen schon Routine. Und dann merkst du: Nicht die Natur war aufwendig.


Und wenn ihr für den Start oder große Themen Unterstützung braucht, dann meldet euch bei mir und wir finden eine Lösung die zu euch passt.

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